In den Ruinen der ehemals pfalzgräflichen Burg auf einer Bergkuppe hoch über dem Laacher See hatte sich dereinst ein Junker mit Namen Cuno eingenistet. Er und seine Spießgesellen waren eine wahre Plage. Niemand, der sich der Laacher Abtei näherte, war mehr vor ihnen sicher. Die gottlose Bande plünderte, raubte und schreckte sogar vor Mord und Totschlag nicht zurück, wenn es darum ging bei Pilgern oder Kaufleuten Beute zu machen. Sogar die Klosterbrüder waren ihres Lebens nicht mehr sicher. Hatte der blutrünstige Cuno doch erst vor ein paar Tagen einen Novizen erschlagen, als dieser bei hereinbrechender Dunkelheit auf seinem Weg von Kruft nach Laach den rechten Weg verfehlt und in die Nähe der alten Burg geraten war. Schon mehrfach hatte sich der Abt beim Kurfürsten, beim Kaiser und sogar beim Papst über die Schandtaten des Junkers beklagt. Bisher jedoch ohne Erfolg. Immer wieder war der Unhold mit seiner Truppe den Soldaten der weltlichen Macht entwischt. Der Mord an dem Novizen veranlasste den Abt alle Benediktiner Brüder an diesem Abend im Konvent zusammen zu rufen und ihnen folgendes zu verkünden : „ Wie ihr alle wisst, meine lieben Mitbrüder, mussten wir gestern ein noch junges Mitglied unserer Gemeinschaft zu Grabe tragen, das von unsrem Widersacher, der auf der gegenüberliegenden Seite des Sees haust, ermordet worden ist. Da offensichtlich kein weltliches Gericht diesem Unhold habhaft werden kann, lasst uns heute Abend in der Vesper Gottes Hilfe erflehen, uns von diesem Teufel in Menschengestalt zu befreien.“ Kaum waren diese Worte verklungen, als ein heftiges Pochen an der Klosterpforte die Mönche aufschrecken ließ. Alsbald führte der Pförtner einen vor Kälte und Angst zitternden Boten in den Versammlungsraum. Auf die Frage des gestrengen Priors: „Bursche, was führt dich zu so später Stunde und bei diesem Wetter in unser Kloster?“ , brachte der Befragte nur stammelnd hervor, dass sein Herr im Sterben liege und nach dem ehrwürdigen Abt verlange. Als der Abt den Namen dieses Herrn erfahren wollte, brachte der Bote nur: „Der Junker Cuno“ hervor. Im Saal war es schlagartig mucksmäuschenstill geworden. Schließlich unterbrach der Abt das Schweigen mit den Worten: „ Wohlan denn, wenn der Sünder nach mir verlangt, so ist es meine Pflicht als Christ und Priester ihm in seiner letzten Stunde beizustehen.“ Alle Versuche der entsetzten Brüder ihren Abt von diesem Vorhaben abzuhalten, waren vergeblich. Mit dem Hinweis für den Sterbenden und ihn selbst zu beten, verabschiedete sich der Abt und eilte mit dem Boten zu dem vor der Klosterpforte stehenden Pferdeschlitten, der von zwei kräftigen Rossen gezogen wurde. In rascher Fahrt ging es über den verschneiten Weg zum Seeufer hinunter und dann auf die fast spiegelglatte Eisfläche des zugefrorenen Laacher Sees. Fröstelnd von dem messerscharfen Fahrtwind hüllte sich der Gottesmann fester in seinen wollenen Umhang und zog sich die Kapuze seiner Kutte tiefer ins Gesicht. Je näher sie dem südlichen Ufer kamen, desto zappeliger und aufgeregter wurde der Bursche, der neben dem Abt die Zügel fest in der Hand hielt. Schon waren die ersten Schilfpflanzen des Ufers zum Greifen nahe, als der von seinem Gewissen geplagte Lenker des Gefährts lauthals schrie: „ Das ist eine Falle!“ und gleichzeitig in einem gewagten Wendemanöver den Schlitten wieder vom Ufer weg bewegte. Nur noch aus den Augenwinkeln sah der Abt eine Reiterschar aus der Uferdeckung hervorbrechen – an ihrer Spitze der gefürchtete Cuno. Eine mörderische Verfolgungsjagd über den See begann. Immer kürzer wurde die Distanz zwischen dem Schlitten und den Reitern. Schon glaubte der Abt, der sich nicht traute den Blick rückwärts zu richten, den Atem der heran fliegenden Verfolger in seinem Nacken zu spüren, als urplötzlich ein warmer Südwind, der sich zu einem Sturm ausweitete, den ganzen Seekessel erfasste. Das Eis unter dem Schlitten fing an zu bersten und zu schwanken. Seewasser spritzte zwischen den Eisschollen auf. Die gesamte Eisfläche klirrte unter den Kufen wie zerspringendes Glas. Im Untergrund war nur noch ein unheimliches Gurgeln, Zischen und Ächzen zu hören. Im letzten Moment, bevor sich die gesamte Eisfläche wie ein zu Boden gefallener Spiegel in tausende von kleinen Splittern verwandelte, erreichte der Schlitten das rettende Ufer. Die Reiter jedoch mit ihren schweren Rüstungen und Kettenhemden versanken in den eisigen Fluten des unbarmherzigen Sees.
Neu erzählt nach: Heinz Steguweit, Rheinische Heimatblätter, 1926, Heft 2, S. 67.