In dem Flurbezirke Hartental wurden vor etlichen Jahren in der Erde Mauern aufgedeckt, die auf eine ausgedehnte Hausanlage schließen ließen. Ebenso sind Gräberfunde in der Nähe keine Seltenheit. Die Mauern sollen die letzten Reste eines Schlosses sein, das dem Grafen von Hartal zugehörte. Viel Leid hatte der Graf erfahren, weshalb er sich hier in der Einsamkeit mit seinem Töchterchen zurückzog. Die große Waldung hatte er angekauft und inmitten derselben sein Schloss erbaut. Da seine Gemahlin gestorben, so übertrug er seine ganze Liebe auf sein Töchterchen, ja er hütete es, wie seinen Augapfel. Doch als diese zur Jungfrau erwachsen, überraschte er sie eines Tages mit ihrem heimlichen Liebhaber, dem Ritter vom Burgerberge. In seiner Erregtheit stieß er dem jungen Manne sein Schwert in die Brust, nicht ahnend, dass er damit das Lebensglück seiner einzigen Tochter zerstörte. Nach jahrelangem Trauern trat sie in das nahe Kloster St. Thomas ein, wozu der Vater denn seine Einwilligung gegeben hatte. Fast täglich ging nun der Vater an die Klosterpforte und holte seine Tochter zu einem Spaziergange ab, oder auch, wenn es die Vorsteherin erlaubte, um einen ganzen Tag in seinem Schlosse zuzubringen. Abends begleitete er sie dann wieder zur Klosterpforte. Einstens war der Graf auf der Jagd und hatte sich verirrt, als die Abenddämmerung hereingebrochen. Ermattet sank er auf die Knie und flehte Gott um Hilfe. Da hörte er eine Glocke läuten, an deren Klange er die von St. Thomas erkannte. Aufgemuntert richtete er sich auf und ging diesem Klange entgegen. So lange er auf dem richtigen Wege war, gab die Glocke kurze Anschläge, ging er aber eine falsche Richtung, so läutete sie ununterbrochen. So fand der Verirrte sein Heim glücklich wieder. Es verstrichen die Jahre, bis eines Tages die Glocken von St. Thomas läuteten, ohne dass jemand an den Seilen zog. Niemand konnte sich das erklären. Da der Graf am Tage nicht an der Klosterpforte erschien, so beschlich die Tochter beim rätselhaften Läuten eine bange Ahnung, und sie eilte zum heimatlichen Schlosse, wo sie den Vater tot im Bett fand. Man begrub ihn in der Klosterkirche und hielt sein Grab viele Jahrhunderte in Ehren. Das ganze Vermögen fiel dem Kloster anheim, weshalb St. Thomas in diesem Flurbezirk so viele Güter besaß. Der erstochene Ritterssohn vom Burgerberge hatte nur eine Schwester, die Freundin der Grafentochter. Sie trat ins Kloster Namedy ein, wodurch der ganze Burgerberg Eigentum des Klosters wurde. Bei der Aufhebung des Klosters fiel derselbe der Schule zu Andernach zu, wurde aber 100 Jahre später parzelliert und gelangte in Privatbesitz.
Stephan Weidenbach : Sagen von St. Thomas Originaltext aus : Andernacher Volkszeitung vom 25. September 1920